Das “schlafende Pferd” ruht bald am Reumannplatz

Am Wiener Reumannplatz, dem belebten Zentrum im 10. Bezirk am Ende der Fußgängerzone Favoritenstraße, treffen unterschiedliche Kulturen und Lebensrealitäten aufeinander. Mitten in diesem Raum permanenter Verhandlung schläft neuerdings ein lebensgroßes, bronzenes Pferd auf einem monumentalen Sockel.

Ist der Reumannplatz ein Heldenplatz? Hier findet vieles statt: Unheimliche Wahlkampfveranstaltungen zum Beispiel und heimliche Eiscafé-Rendezvous. Der Reumannplatz ist ein Zentrum im Zehnten, ein Ort migrantischen Lebens, bürgerlicher Gentrifizierung und rechtsextremer Mobilisierung. Hier wird und wurde Wiener Arbeitergeschichte geschrieben, eine Geschichte von Kämpfen und Shoppingerlebnissen, eine Geschichte der Halbwelt, eine Geschichte des alltäglichen Lebens und Überlebens, des Sterbens, der Ausbeutung, eine Geschichte der Deportationen und der Gewalt. Nun wird eine auch eine Geschichte erzählt, die sich dem Betrachter nicht auf den ersten Blick erschließt.

Mitten auf dem Reumannplatz schläft neuerdings ein lebensgroßes, bronzenes Pferd auf einem monumentalen Sockel. Für die nächsten 18 Monate wird es Teil des Alltags auf dem Platz zwischen der Jugendstilperle Amalienbad, dem Park und dem legendären Eissalon Tichy werden. Dabei handelt es sich um ein  von “Kunst im öffentlichen Raum” (KÖR) gefördertes Projekt. Diese sieht ihre Aufgabe in der Belebung des öffentlichen Raums der Stadt Wien mit permanenten bzw. temporären künstlerischen Projekten. Dadurch soll die Identität der Stadt und einzelner Stadtteile im Bereich des Zeitgenössischen gestärkt sowie die Funktion des öffentlichen Raums als Agora – als Ort der gesellschaftspolitischen und kulturellen Debatte – wiederbelebt werden. KÖR versteht Kunst im öffentlichen Raum nicht als Dekor, sondern als Angebot zur Auseinandersetzung mit Inhalten und radikalen ästhetischen Setzungen sowie als symbolische Markierung bislang kulturabstinenter Territorien.

Anzeige

Die Botschaft: Denk mal!

Die Herstellung der Skulptur verbindet eine klassische Denkmalsprache mit neuester Technik: Ein schlafendes Wiener Pferd wurde mittels Fotogrammetrie digital erfasst, in einem speziellen Verfahren dreidimensional ausgedruckt, im Anschluss bis in kleinste Details naturalistisch nachmodelliert und dann in Bronze gegossen und patiniert. Gestaltet wurde es von dem Künstler-Team Heike Mutter und Ulrich Genth. Sie erforschen Städte und die Bedeutung öffentlicher Räume und schaffen mit ihren skulpturalen Eingriffen kommunikative Orte.

Am Wiener Reumannplatz stellen die Küntlerinnen die Frage nach dem heutigen Umgang mit dem in Wien ausgeprägten Denkmalkult des 19. Jahrhunderts, der für die Konstruktion wie für die Repräsentation von Nationalstaatlichkeit im vorletzten Jahrhundert und so für eine kulturelle Identifikation bis in die Gegenwart steht. Zumeist geschah dies mit plastischen Darstellungen von Figuren von weißen, mächtigen und sicherlich für die jeweiligen Verhältnisse sehr wichtigen Männern, die entschlossen und stolz auf Sockeln standen, mit der Hand am Herzen oder mit gezücktem Schwert. Dazu soll das schlafende Pferd einen Kontrapunkt bilden. Es liegt ausgestreckt, friedlich auf der Seite im Tiefschlaf. Ein Pferd muss sich als Fluchttier dazu absolut sicher fühlen. Es ist ein starkes Gegenbild zu den uns bekannten klassischen Prachtstücken von Reiterdenkmälern des Erzherzogs Karl (1860) und Prinz Eugen (1865) am Wiener Heldenplatz, deren Pferde die Virilität und Macht ihrer ruhmreichen Herren verkörpern.

Die Kulturwissenschaftlerin Nora Sternfeld beschreibt die Botschaft wie folgt: “unser schlafendes Pferd will niemanden beeindrucken. Und wir werden nie erfahren, ob es einen Reiter abgeworfen hat oder ob es einfach nie einen hatte. Und wer bewundert das Pferd am Reumannplatz? Das Schöne an dem Monument von Heike Mutter und Ulrich Genth ist, dass ihm das ihm das völlig egal zu sein scheint.”

Wer sich selbst ein Bild davon machen möchte:

KÖR Kunst im öffentlichen Raum Wien präsentiert

Heike Mutter und Ulrich Genth
Schlafendes Pferd
Temporäre Installation am Kunstplatz Reumannplatz, 1100 Wien

Eröffnung: Freitag, 23. Juni, 17:00 Uhr

Zur Eröffnung sprechen:

  • Martina Taig, Geschäftsführerin KÖR GmbH
  • Cornelia Offergeld, Kuratorische Leiterin KÖR GmbH
  • Marcus Franz, Bezirksvorsteher 10. Bezirk
  • Nicole Berger-Krotsch, Gemeinderätin und Mitglied im Kulturausschuss

Das Künstlerteam ist anwesend.