Tschechien hat seit gestern ein neues immaterielles UNESCO-Weltkulturerbe

©Rautis

Die UNESCO widmet sich dem Schutz alter Traditionen, Volksbräuche und Handwerke aus der ganzen Welt. Nun wurde die Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit um die nordböhmische Glasfirma Rautis aus Poniklá in der Liberecer Region, die sich ganz der traditionellen Produktion von Weihnachtsdekorationen aus Glas geblasenen Perlen widmet, erweitert.

Bislang hatte die Tschechische Republik sechs Einträge in dieser Liste – den Verbunk, seine Karnevalsprozessionen und Masken in der Region Hlinsko, die Falknerei, den Königsritt im Südosten der Tschechischen Republik, die Puppenspielkunst sowie den Blaudruck. Das Erstellen von Ornamenten aus Perlen ist der siebten Eintrag in die immaterielle UNESCO-Weltkulturerbeliste.

Ein Team aus Mitarbeitern des Museums des Böhmischen Paradieses in Turnov, des Kulturministeriums der Tschechischen Republik und des Nationalen Instituts für Volkskultur in Strážnice arbeitete mehr als zwei Jahre an der Nominierung. „Wir mussten bewerten, beschreiben und hervorheben, was diesen immateriellen Vermögenswert in einem globalen Kontext einzigartig macht. Es war herausfordernd, aber gleichzeitig sehr interessant. Zum zweiten Mal beteiligten sich die Mitarbeiter unseres Museums an der Bearbeitung von Dokumenten für die UNESCO-Nominierung. Die erste Nominierung für den Geopark Bohemian Paradise wurde 2015 genehmigt, in diesem Fall war sie komplizierter“, sagt Vladimíra Jakouběová, Direktorin des Museums des Böhmischen Paradieses in Turnov.

Der 2017 eingereichte Vorschlag zur Registrierung der Weihnachtsdekorationen aus Poniklá wurde ein Jahr später bewertet, auf Ersuchen der Kommissare jedoch durch einige detailliertere Informationen ergänzt. „Da der zwischenstaatliche Ausschuss der UNESCO alle zwei Jahre zusammentritt, haben wir bis Dezember dieses Jahres auf das Ergebnis der Bewertung gewartet. Aber es hat sich definitiv gelohnt. Für die Firma Rautis aus Poniklá ist dies eine enorme Auszeichnung und Anerkennung. Unser Museum betrachtet dies auch als großen Erfolg und als Anerkennung unserer professionellen Arbeit. Wir freuen uns, dass wir mit unserer Nominierung im Weltwettbewerb erfolgreich waren“, strahlt Jakouběová.

Die Tradition der Weihnachtsdekorationen aus Glasperlen, auf die sich die Firma Rautis in Poniklá spezialisiert hat und die seit 2015 auf der Liste der immateriellen Vermögenswerte der traditionellen Volkskultur der Region Liberec und der nationalen Liste der immateriellen Vermögenswerte der traditionellen Volkskultur der Tschechischen Republik eingetragen ist, ist einzigartig. Weihnachtsdekorationen aus geblasenen Hohlperlen sind einfach, aber völlig außergewöhnlich. Die Tradition ihrer Herstellung ist mit der Mode verbunden, Weihnachtsbäume seit dem Ende des 19. Jahrhunderts in Europa zu schmücken. Zu dieser Zeit begannen Glasmacher im Iser- und Riesengebirge, die für die Schmuckindustrie zu Hause geblasene Perlen herstellten, aus diesen Perlen Dekoration hezustellen und den Weihnachtsbaum zu schmücken. Die Popularität von Miniatur-Perlenwagen, Lokomotiven, Sternen oder Spinnen nahm zu und daher wurden die Dekorationen sehr bald in großen Mengen hergestellt. In den 1930er Jahren exportierten ihre Produktionsfirmen sie in die ganze Welt. Dies ist auch heute noch der Fall, dank der Firma Rautis der Familie Kulhavý in Poniklá.

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts gelang es Herrn Kulhavý den Betrieb einer Manufaktur zu retten, die als einzige auf der Welt Ornamente herstellte, die mit jenen identisch waren, die Glasmacher vor mehr als hundert Jahren mit traditionellen technologischen Methoden zu Hause hergestellt haben. Zusätzlich zu den ursprünglichen Entwürfen, deren Schöpfer immer auf die Umgebung reagierten, in der sie lebten, wurden einige neue hinzugefügt. Neben den klassischen Weihnachtsmotiven von Sternen und Glocken enthält das Rautis-Repertoire heute fast 20.000 Arten von Weihnachtsdekorationen, u. a. Motive von Engeln, Spielzeugautos, Flugzeugen, Puppen u. v .m.

Der ursprüngliche Herstellungsprozess bleibt jedoch erhalten. In den Werkstätten der Poniklá-Manufaktur werden wie vor mehr als hundert Jahren Halbwaren und Muster von Ornamenten hergestellt, die dann von Mitarbeitern zu Hause mit Drähten und geblasenen Perlen zusammengesetzt werden. Die fertigen reisen dann zu tschechischen und ausländischen Kunden.

Wie alles begann …

Mundgeblasenen Glasperlenschmuck begann man zu Beginn des 20. Jh. in der Gablonzer Gegend und im Riesengebirge anzufertigen. Seine größte Blütezeit erlebte Glasperlenschmuck in den 20er und 30er Jahren des vergangenen  Jahrhunderts, aber seine Herstellung blieb bis in die Gegenwart lebendig. 

Der Weg einer Glasperle ist recht lang – zuerst wird sie aus einem Glasröhrchen geblasen, dann versilbert, gefärbt, bemalt und zuletzt abgezwickt. All diese Schritte erfolgen manuell, erst dann kann die Glasperle auf Draht aufgefädelt werden. Die Muster sind von unglaublicher Vielfalt. Anfänglich entstanden vor allem Nachahmungen von Alltagsgegenständen, Verkehrsmitteln oder Tieren. Später dann typische Weihnachtsmotive – Sterne, Engelchen oder Christbaumspitzen. 

Heutzutage ist die Firma Rautis der einzige Hersteller dieser Schmuckform weltweit. Es gelang alte Muster, Formen für Glasperlen und manuelle Herstellungsverfahren, vor allem aber die Produktion an ihrer Wiege zu bewahren – im Riesengebirgsort Poniklá v Krkonoších. Die Produktionsräume sind der Öffentlichkeit zugänglich, bei Betriebsbesichtigungen bekommen die Besucher den gesamten Herstellungsprozess zu sehen.  Diese Exkursionen finden täglich, ja sogar an den Wochenenden statt.

Poniklá ist der einzige Ort weltweit, in dem das traditionelle Glasperlenhandwerk bis heute bewahrt blieb. Die ersten kleinen Werkstätten für mundgeblasene Glasperlen entstanden schon Anfang des 19. Jh., damals lebten ganze Familien von der „Perlenmacherei“. Die Art und Weise des Glasperlenblasens und der Herstellung von Christbaumschmuck hat sich seither kaum verändert. In dieser Firma bekommt man den gesamten Herstellungsprozess zu sehen – vom Blasen aus Glasröhrchen, über das Versilbern, Färben und Schneiden der Glasperlen, bis zur Montage des Schmucks. Alles ist Handarbeit, jede Glasperle geht durch mindestens sechs Hände, bevor sie im Schmuck verarbeitet wird.

Eine Exkursion dauert ca. 40 Minuten. Nach ihrer Absolvierung kann man eine Kreativwerkstatt besuchen und eigenen Perlenschmuck anfertigen. Die Exkursionen erfolgen in tschechischer Sprache, ausländischen Besuchern stehen Begleittexte in englischer, deutscher und polnischer Sprache zur Verfügung. Es ist zu empfehlen, die Exkursionen im Voraus zu bestellen (per Online-Reservierungssystem), um nicht warten zu müssen. Exkursionen für größere Gruppen müssen im Voraus telefonisch oder per E-Mail an der Adresse info@rautis.cz reserviert werden.

*****

Allgemeine Informationen rund um das Reiseland Tschechien gibt es bei CzechTourism unter www.visitczechrepublic.com.

©Rautis