Junge Menschen im Kampf gegen Gewalt: Beratungszahlen steigen massiv

Rat auf Draht
@iStock

Immer mehr Jugendliche sind mit verschiedenen Formen von Gewalt konfrontiert, wie aktuelle Zahlen des psychosozialen Notdienstes Rat auf Draht zeigen. Besonders betroffen sind Gewaltakte unter Gleichaltrigen, sei es durch Mobbing, psychische Gewalt oder Cybermobbing. 

Viele Jugendliche wissen nicht, wie sie sich dagegen wehren können und wenden sich an uns, weil sie nicht gelernt haben, Konflikte respektvoll zu lösen oder über ihre Gefühle zu sprechen. Oft gibt es zu Hause keine Vorbilder für konstruktive Kommunikation, und es wird wenig darüber geredet, wie man mit schwierigen Situationen umgehen kann“, erklärt Christine Piriwe, Beraterin bei Rat auf Draht und Projektleiterin der Peerberatung. Sie betont, dass das Problem häufig darin liege, dass Konflikte zu Hause nicht in einer respektvollen, lösungsorientierten Weise angesprochen würden. „Dies führt dazu, dass sie in ihren Peer-Gruppen nicht wissen, wie sie mit Konflikten umgehen sollen, was zu Eskalationen führen kann“, so Piriwe weiter.

Psychische und körperliche Gewalt auf dem Vormarsch

Im vergangenen Jahr verzeichnete Rat auf Draht insgesamt 2950 Beratungen zum Thema Gewalt – das entspricht im Schnitt rund acht Anrufen pro Tag. Besonders bei psychischer Gewalt, Mobbing und emotionaler Erpressung fällt es vielen Jugendlichen schwer, die Grenze zu erkennen und zu verstehen, dass sie Gewalt erleben.

Ein wichtiger Aspekt ist, dass Jugendliche mit anderen Problemen wie Schlafstörungen, Stress oder Schulproblemen beginnen, Hilfe zu suchen. Erst im Gespräch stellt sich heraus, dass diese Belastungen häufig durch Gewalt in ihrem Umfeld – sei es in der Familie, Schule oder in der Beziehung – verursacht werden“, beschreibt Piriwe die häufige Entdeckung der zugrunde liegenden Probleme.

Zu den häufigeren Themen gehören auch sexuelle Belästigung (Zuwachs von 9,7 Prozent) und Gewalt in Partnerschaften (ein Anstieg von etwa einem Prozent).

Ein sicherer Raum für Unterstützung

Zu Beginn geht es bei Rat auf Draht vor allem darum, den Jugendlichen zuzuhören. Oft möchten sie zunächst einfach ihre Situation schildern, ohne sofort nach einer Lösung zu suchen. „Wir unterstützen dabei, eine erste Einschätzung der Situation zu treffen und helfen, Klarheit zu gewinnen – ganz ohne Druck“, so Piriwe. Es sei nicht ungewöhnlich, dass sich Jugendliche nach dem ersten Gespräch noch einmal melden, wenn sie bereit sind, weitergehende Unterstützung anzunehmen. „In solchen Fällen helfen wir ihnen, weitere Schritte zu gehen und verweisen gegebenenfalls an zuständige Stellen wie die Kinder- und Jugendhilfe. Unsere Aufgabe ist es, einen sicheren Raum zu bieten, in dem sich Jugendliche gehört fühlen, und sie auf dem Weg zu der Hilfe zu begleiten, die sie brauchen.“

Die Familie als prägender Faktor

Besonders in Familien wird psychische Gewalt oft nicht als solche wahrgenommen. Diese kann sich in alltäglichen Kommunikationsmustern wie abwertenden oder kontrollierenden Aussagen manifestieren, die das Selbstwertgefühl der Jugendlichen stark beeinträchtigen. Solche Dynamiken wirken sich nicht nur auf das familiäre Umfeld aus, sondern beeinflussen auch die sozialen Beziehungen der Jugendlichen außerhalb der Familie. Laut Rat auf Draht wurden im Jahr 2024 insgesamt 477 Beratungen zu psychischer Gewalt in der Familie durchgeführt.

Jugendliche, die in einem Umfeld aufwachsen, das von Schuldzuweisungen und mangelnder Wertschätzung geprägt ist, haben oft Schwierigkeiten, gesunde Grenzen in ihren sozialen Beziehungen zu setzen“, erklärt Piriwe. Diese Unsicherheiten können sich im Klassenverband widerspiegeln und zu Mobbing oder emotionaler Erpressung führen.

Gewaltprävention beginnt zu Hause

Eltern spielen eine zentrale Rolle bei der Prävention von Gewalt. „Durch aktives Zuhören, wertschätzende Kommunikation, eine offene Fehlerkultur sowie die Förderung von Konfliktfähigkeit und positiven Vorbildern können Eltern das Verhalten ihrer Kinder nachhaltig beeinflussen“, sagt Piriwe. Aber auch Schulen und andere pädagogische Einrichtungen tragen zur Gewaltprävention bei. In Workshops lernen Kinder nicht nur theoretisches Wissen über Gewaltprävention, sondern auch, wie sie ihre emotionalen und körperlichen Grenzen wahrnehmen und verteidigen können. Das respektvolle Wahrnehmen der Grenzen anderer wird dabei ebenso geübt.