Extremhitze, „Dschungelfeeling“ und Wetterkapriolen belasten zunehmend unsere Gesundheit. Der Klimawandel ist spürbar. Vor allem Senioren müssen aufpassen – Univ.-Prof. Dr. Siegfried Meryn, Österreichs bekanntester TV-Gesundheitsexperte und Internist, gibt Tipps.
Manche in der Politik möchten es gerne ignorieren, doch die Zahlen sprechen für sich: Die Sommertemperaturen sind in den Jahren zwischen 1980 und 2022 um rund 2,3 Grad Celsius in Europa angestiegen (*). Hitzewellen sind in Österreich seit 1991 um 50 Prozent häufiger und auch länger andauernd (**). Und laut einem aktuellen EU-Bericht (***) ist in den vergangenen 20 Jahren die Zahl der Todesfälle aufgrund von Hitze um rund 30 Prozent in Europa gestiegen. Tendenz: steigend. Der Klimawandel ist deutlich spürbar und belastet gesundheitlich vor allem Babys, Kleinkinder, chronisch Kranke und Senioren. Univ.-Prof. Dr Siegfried Meryn, Österreichs bekanntester TV-Gesundheitsexperte und Internist, sprach mit uns über gesundheitliche Auswirkungen und wie sich ältere Menschen bei Hitzewellen besser schützen können.
Der „sanfte Übergang“ der Saisonen scheint zu fehlen. Warum ist diese Übergangszeit für den Körper wichtig?
Univ.-Prof. Dr. Siegfried Meryn: Es hängt natürlich davon ab, wo jemand lebt. Bei uns in Österreich sind wir bisher an den Wechsel der vier Jahreszeiten gewohnt gewesen. So kennt es auch unser Körper, dessen innere Prozesse unter anderem von Licht und Außentemperaturen beeinflusst werden. Was sich geändert hat, ist, dass wir jetzt oft mit extremen Temperaturschwankungen konfrontiert sind. Wir erleben keine fließenden Saisonübergänge mehr, sondern es hat an einem Tag 30 Grad Celsius, am anderen nur mehr 15. Gerade für ältere Menschen sind derartige Schwankungen sehr belastend. Ihr Kreislauf kann sich nicht mehr so schnell adaptieren.
Hohe Hitze ist ein Gesundheitsrisiko für Senioren
Hitzewellen und Wetterkapriolen nehmen zu. Wieso sind Temperaturen über 30 Grad für Personen ab 65 ein größeres Risiko?
Meistens hat man ab diesem Alter eine Reihe von chronischen Erkrankungen, die sogenannten „Pumperlgesunden“, die keine Medikamente nehmen müssen, sind die Ausnahme. Der Stoffwechsel arbeitet langsamer, die Gefäße sind nicht mehr so flexibel. Hitze hat auch eine sehr starke Auswirkung auf das Gehirn. Das Denken und die Konzentrationsfähigkeit werden langsamer. Das Gehirn älterer Menschen reagiert auf Außentemperaturen noch viel stärker. Ältere vergessen oftmals, zu trinken – viel Flüssigkeit ist aber gerade bei Hitze extrem wichtig – auch fürs Gehirn.
Bei welchen Vorerkrankungen muss man vorsichtiger sein – und warum?
Ein Großteil der Senioren nimmt Medikamente ein. Einige könne die Hitzeempfindlichkeit noch erhöhen: zum Beispiel Medikamente für das Herz (wie bei Herzschwäche), Betablocker, „Zucker“-Medikamente oder Antidepressiva. Auch Patienten mit Nierenerkrankungen müssen bei hoher Hitzebelastung verstärkt auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr achten.
Mehr Grünflächen und Schattenplätze
Was sind die wichtigsten Tipps, um sich zu schützen?
Wenn es zu einer konkreten Hitzewelle kommt: Verrichten Sie Ihre Tätigkeiten am frühen Morgen oder späten Abend, verlassen Sie tagsüber wirklich nicht das Haus. Vermeiden Sie jede direkte Sonnenbestrahlung, gehen Sie nur im Schatten und tragen Sie eine Kopfbedeckung. Und das Wichtigste: Trinken Sie, trinken Sie – auch wenn Sie keinen Durst haben. Wir geben bei Hitze sehr viel Flüssigkeit über Haut und Atmung ab, das spürt und merkt man gar nicht.
Was wünschen Sie sich als Arzt von der Politik?
Der Zusammenhang von Klimawandel und gesundheitlichen Belastungen ist nicht mehr „wegzudiskutieren“, er ist da. Laut den Daten der WHO sind 2023 um 45.000 mehr Menschen in Europa gestorben, deren Tod direkt in Zusammenhang mit den Hitzewellen stand. Hier fehlt mir noch ein stärkeres Bewusstsein. Ich wünsche mir, dass bereits in Kindergärten und Schulen der Zusammenhang von Klima und Gesundheit vermittelt wird, damit „Hänschen schon lernt“. Für ältere Menschen in Städten braucht es mehr Grünflächen mit Schattenplätzen. Und die Faktoren Klima und Gesundheit müssen unbedingt bei der Planung, Errichtung und Gestaltung von Seniorenheimen und Pflegeeinrichtungen Eingang finden.
Tipps: Genug Flüssigkeit, immer in Kontakt bleiben
- Flüssigkeit: Trinken Sie ausreichend Wasser, mindestens 1,5 bis 2 Liter am Tag. Vermeiden Sie alkoholische und koffeinhältige Getränke, da sie dem Körper Flüssigkeit entziehen. Vor allem Ältere haben oft ein vermindertes Durstgefühl und müssen ans Trinken erinnert werden. Bei starkem Schwitzen oder Anstrengung verlieren wir wertvolle Elektrolyte – das führt bei manchen zu heftigen Kopfschmerzen.
- Kühle Rückzugsorte: Nützen Sie klimatisierte öffentliche Gebäude wie Bibliotheken oder Einkaufszentren. Für Zuhause: Ventilatoren und mobile Klimaanlagen und richtiges Lüften (morgens, abends) schaffen Abhilfe. Tipp: Sonnenschutzsysteme für Häuser und Wohnungen werden derzeit gefördert.
- Richtige Kleidung & Sonnenschutz: Tragen Sie helle, lockere und luftdurchlässige Kleidung aus Naturfasern wie Baumwolle oder Leinen. Sie kühlen den Körper. Tragen Sie Sonnenhut, -brille. Und vergessen Sie bitte nicht auf Sonnencreme mit hohem Lichtschutzfaktor (am besten SPF 50). Besonders für ältere Menchen ist es wichtig, Überhitzung zu vermeiden.
- Kontakt & Information: Bleiben Sie bei Hitzewellen laufend in Kontakt mit Familie, Freunden und Nachbarn. Diese soziale Unterstützung kann lebenswichtig sein, um gut durch den Tag zu kommen. Informieren Sie sich außerdem regelmäßig über Wettervorhersagen und Hitzewarnungen, um entsprechende Vorsichtsmaßnahmen treffen zu können.
Tipps: Richtige Ernährung, schnelle Abkühlung
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Ernährung: Essen Sie leichte, wasserreiche Lebensmittel wie Obst und Gemüse. Vermeiden Sie schwere und fettige Speisen, diese belasten den Körper zusätzlich. Eine angepasste Ernährung hilft, den Körper zu entlasten und die Hitze besser zu verkraften.
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Bewegung: Vermeiden Sie körperliche Anstrengungen während der heißen Tageszeit. Verlegen Sie Sport auf die frühen Morgen- oder späten Abendstunden. Ausreichend trinken: auch elektrolythältige Getränke, um Natrium-, Kalium- und Chloridverlust auszugleichen.
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Entspannung: Verschieben Sie Wohnungsputz und Bewegung lieber auf den Morgen oder Abend und legen Sie zwischen 12 und 18 Uhr eine Entspannungsphase oder eine
Siesta ein. Genießen Sie ein kleines Schläfchen im Schatten im Freibad, am Balkon, im Garten oder in verdunkelten, kühlen Räumen. -
Schnelle Abkühlung: Nehmen Sie regelmäßig kühle Duschen oder Fußbäder, um die Körpertemperatur zu senken. Feuchte Tücher in Nacken und auf Stirn, gekühlte Armmanschetten oder kühlende Armbäder (bis zum Ellenbogen, 1–2 Min.) – das alles bringt sofortige Linderung bei Hitze.
Hitzefrei – so kommen Sie „cool” und gesund durch Hitzewellen in Wien:
„Cooles“ Wien: Maßnahmen gegen Hitzeinseln und Angebote zum Abkühlen: www.wien.gv.at/umwelt/cooleswien/
Gesundheits-Tipps Hitzetelefon: 0800 80 800 (kostenfrei)
Gesund bleiben bei Hitze: www.gesundheit.gv.at/leben/umwelt/gesund-bei-hitze/
Hier finden Sie Information zur Förderung von außen anliegendem Sonnenschutz.
Interview erschienen in UG – Unsere Generation 5/2024.
Quellen: (*) Climate Change Research Centre/University of New South Wales (Australien) und European Geosciences (EGU), (**) Geosphere Austria, (***) „Zustand des europäischen Klimas 2023“ des EU-Klimadienstes Copernicus und der Weltorganisation für Meteorologie (WMO)