Die neuen “großen Töchter” Ingeborg Bachmann und Luise Fleck

Enthüllung der beiden neuen Pionierinnen, Luise Fleck und Ingeborg Bachmann, durch VBgmIn Kathrin Gaál und NR-Präsidentin Doris Bures in der Pionierinnen-Galerie. | ©Stadt Wien, Martin Votava

In einer bewegenden Zeremonie während der Frauenwoche hat die Stadt Wien zwei herausragende Persönlichkeiten der österreichischen Geschichte gewürdigt: die Schriftstellerin Ingeborg Bachmann und die Filmregisseurin Luise Fleck.

Durch die Enthüllung von Tafeln im Arkadenhof des Rathauses wurden diese Pionierinnen in die “Pionierinnengalerie” aufgenommen, die bereits 30 weitere bedeutende Frauen umfasst.

Frauen sichtbar machen

Vizebürgermeisterin und Frauenstadträtin Kathrin Gaál unterstrich die Bedeutung, Frauen sichtbar zu machen und ihre Leistungen anzuerkennen: “Es ist wichtig, dass wir Tag für Tag für gleiche Chancen und für Gleichberechtigung eintreten. In der Frauenwoche und rund um den Frauentag machen wir Frauen sichtbar und holen sie vor den Vorhang.”

Doris Bures, Zweite Nationalratspräsidentin, betonte die Bedeutung dieser Ehrung für die Anerkennung der Leistungen von Frauen in der Geschichte: “Die viel zu früh verstorbene Ingeborg Bachmann war eine der ersten feministischen Stimmen der österreichischen Nachkriegsliteratur – sie musste und sie konnte sich in einer wohl oft nur scheinbar aufgeklärten und liberalen, aber männlich dominierten Literaturszene durchsetzen und behaupten. Sie in die Pionierinnengalerie der großen Töchter Wiens aufzunehmen würdigt diese wortgewaltige Schriftstellerin und ihr Ausnahmetalent.”

Auch Gemeinderätin Dolores Bakos hob die Bedeutung der Pionierinnengalerie hervor und betonte, wie wichtig es sei, Frauen und ihre Leistungen immer wieder ins Rampenlicht zu rücken: “Das Wirken, das Engagement und der Mut dieser außergewöhnlichen Pionierinnen zeigt uns, wie wichtig es ist, Frauen und ihre großartigen Leistungen immer und immer wieder ins Rampenlicht zu rücken. Die Pionierinnengalerie dient allen Mädchen und Frauen als Motivation, nie den Glauben an sich zu verlieren und dass es trotz der vielen Steine, die vor allem Frauen auch heute noch in den Weg gelegt werden, möglich gemacht werden muss, die eigenen Träume und Visionen zu realisieren.”

Große Töchter

Die Entscheidung, Ingeborg Bachmann und Luise Fleck als “große Töchter” zu ehren, war kein Zufall. Beide waren österreichische Vorreiterinnen auf ihrem Gebiet und sind bis heute Vorbilder für viele.

Ingeborg Bachmann wird als eine der ersten feministischen Stimmen der österreichischen Nachkriegsliteratur gewürdigt. Trotz der Hindernisse in einer von Männern dominierten Literaturszene behauptete sie sich mit ihrer bemerkenswerten Stärke und ihrem außergewöhnlichen Talent.

Luise Fleck, die erste österreichische Filmregisseurin, prägte mehr als 100 Filme in einer entscheidenden Ära des Übergangs von Stumm- zu Tonfilmen. Mutig und unabhängig von Rollenbildern gestaltete sie ihre eigene Karriere und inspirierte damit viele nachfolgende Generationen von Frauen.

Die Aufnahme dieser beiden außergewöhnlichen Frauen in die Pionierinnengalerie sendet eine klare Botschaft an Mädchen und junge Frauen: Traut euch alles zu! Ihre Geschichten zeigen, dass es möglich ist, gegen alle Widerstände die eigenen Träume zu verwirklichen.

Ingeborg Bachmann (1926 – 1973) war eine österreichische Schriftstellerin und wird als eine der bedeutendsten deutschsprachigen Lyrikerinnen des 20. Jahrhunderts betrachtet. Ihr literarisches Schaffen widmet sich Themen wie der Rolle der Frau in einer vom Patriarchat geprägten Gesellschaft, den Konsequenzen von Krieg und Frieden sowie dem individuellen menschlichen Leiden. Nach dem Zweiten Weltkrieg studierte Bachmann Philosophie, Psychologie, Germanistik und Rechtswissenschaften in Innsbruck, Graz und Wien. Während ihres Studiums fand Bachmann ihren Weg in die Wiener Literaturszene, in welcher sie sich unter anderem mit Paul Celan, Ilse Aichinger und Viktor Kraft austauschte.

Bachmann arbeitete als Hörfunkredakteurin für den Sender Rot-Weiß-Rot, für den sie mehrere Hörspiele schrieb. Alle Tage ist eines ihrer bekanntesten Antikriegsgedichte, es wurde 1952 in einer Rundfunkaufnahme erstmals veröffentlicht. Gleichzeitig verfolgte sie ihre literarische Karriere und verfasste ihre ersten lyrischen Werke. 1953 bekam sie den Literaturpreis von der Gruppe 47 für ihren Gedichtband Die gestundete Zeit, welcher bereits ihre kritische Auseinandersetzung mit dem Krieg zeigte. Ihre literarischen Werke Ein Schritt nach Gomorrha und Undine geht zeigen weibliche Perspektiven auf und zählen zu den frühesten feministischen Äußerungen in der deutschsprachigen Literatur der Nachkriegszeit. Ingeborg Bachmann starb 1973 in Rom.

Luise Fleck (auch Kolm-Fleck, Louise) (1873 – 1950) war die erste österreichische und weltweit zweite Frau, die als Filmregisseurin und Produzentin Erfolg hatte. Sie führte weit über 100 Mal Regie und schrieb mehr als 20 Drehbücher während der Wende von Stumm- zu Tonfilmen. Sie produzierte Komödien, Sozialdramen, Kriminalgeschichten, sowie Literaturverfilmungen. Ihr Film Mädchen am Kreuz (1929) thematisiert u.a. sexuelle Gewalt an Frauen. Mit ihrem zweiten Mann Jakob Fleck lebte und arbeitete Luise Fleck in Deutschland.

In Folge der NS-Machtübernahme in Deutschland 1933 waren die Flecks aufgrund der jüdischen Wurzeln von Jakob Fleck gezwungen, nach Österreich zurückzuziehen. 1937 produzierte Fleck noch den Film Der Pfarrer von Kirchfeld, basierend auf dem Drama von Ludwig Anzengruber. Während der NS-Zeit wurde ihr Mann in die Konzentrationslager Buchenwald und Dachau deportiert. Nach seiner Entlassung flüchtete das Ehepaar 1940 nach Shanghai, wo beide in der chinesischen Filmproduktion arbeiteten. Nach dem Kriegsende in Europa und der Eskalation des Pazifikkrieges kehrten Luise und Jakob 1947 nach Wien zurück. Luise Fleck verstarb im Jahr 1950 in Wien.

Erste Wiener Frauenwoche bis 8. März in ganz Wien: Programm unter wienerfrauenwoche.at