Von Hellsehern und Prophezeiungen

Der erste Hellseher in meinem Leben war mein Latein-Professor. Er blickte mir tief und wissend in die Augen und sagte: „Rapp! Aus Ihnen wird nie was G’scheites.“ Und wie man weiß, war das eine Vorhersage, die ein­getroffen ist.

Es war meine Mutter, die mich in die Wahrsagerei einführte. Zu Silvester musste ich einen Löffel mit einer Bleifigur über eine offene Flamme halten. Warten, bis sie zerlaufen war und dann mit einem Ruck das zerronnene Blei in kaltes Wasser ­gießen. Es hat mich immer verblüfft, was andere aus dem entstandenen Batzen lesen konnten. Die Rede war von Schiffen und damit einer Fernreise oder von Schmuck oder ähnlichen Gegen­ständen, die natürlich einen zu erwartenden Reichtum bedeuteten. Von negativen Ereignissen wie Scheidung, Krankheiten oder sons­tigen Katastrophen war nie etwas in den hässlichen Gebilden aus Blei zu lesen – wenn man den „Deutern“ Glauben schenkte.

Der neue Mann
In den mageren Zeiten des Schicksals machen Kartenleser und ähn­liche „Berufe“ gute Geschäfte. Da gibt es dann zu hören: „Ich sehe einen neuen Mann in deinem Leben!“ Das hören die einsamen und enttäuschten Frauen (aber auch Männer) gerne. Gleich ein paar Zusatz­fragen: „Sieht er gut aus? Hat er Geld? Wie lange hält er eine Nummer durch? Wird mein Ehepartner dahinterkommen?“ Positive Antworten (außer, wenn es darum geht, ob man erwischt wird) sind willkommene Lebenshilfe und lassen uns mutig, frei und gläubig in die neuen Zeiten schreiten.

Der taube Trump
In einer meiner Sendungen habe ich einmal eine Hell­seherin beleidigt, weil ich ­gesagt habe, sie gehöre zu den Menschen, die – wenn es an der Türe klopft – fragen: „Wer ist da?“

Zu Silvester ist oft die Rede von der bulgarischen Wahr­sagerin Baba Wanga, die 1996 im Alter von 85 Jahren verstorben ist und eine hohe Trefferquote bei ihren Vor­hersagen hatte. Allerdings hat sie für 2020 prophezeit: ­Präsident Trump würde sein Gehör verlieren und man wird feststellen, dass er einen Tumor im Gehirn hat. Also ich habe nichts derartiges ­gehört. Sie ­vielleicht?

Der gute Ausblick
Ich bin jedenfalls glücklich, in Wien geboren zu sein und hier zu leben. Angeblich war der amerikanische Präsident Abraham Lincoln (1809–1865) der Erste, der gesagt haben soll: „Wenn die Welt untergeht, ziehe ich nach Wien. Dort geschieht alles 100 Jahre später.“

Gustav Mahler meinte „50 Jahre später“, Karl Kraus „10 Jahre später“. Tja, durchs Internet sind die Zeiten schnelllebiger geworden, glaub ich. Ich bleibe jedenfalls hier.

Für die Leser des Wiener Bezirksblatts sehe ich gute Zeiten vorher. Vorausgesetzt, sie tragen Mund- und Nasen-Schutz, waschen sich die Hände, halten Abstand und lassen sich impfen.

Es sind doch irgendwie „­gschi..ene“ Zeiten. Hätte mir das vorher jemand ­gesagt, hätte ich ihn mit nassen Fetzen davongejagt.

Lesen Sie im nächsten Heft wieder ­lustige ­„Seitenhiebe“ von Dieter Chmelar.