Das Jüdische Museum Wien, ein Museum der Wien Holding, widmet von 10. November 2021 bis 15. Mai 2022 im Museum Judenplatz eine Ausstellung jenen Wiener Kindern, die ab Winter 1938 bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges im Herbst 1939 elternlos ins Ausland geschickt wurden.
Ringen um jedes einzelne Kind
Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Österreich und dem „Anschluss“ im März 1938 begann für Jüdinnen und Juden die brutale Ausgrenzung und Verfolgung. Innerhalb kurzer Zeit schlossen die meisten Länder ihre Grenzen. Umso intensiver wurde das Ringen um Ausreisemöglichkeiten. Mit Hilfe sogenannter Kindertransporte sollten gefährdete Kinder in Sicherheit gebracht werden. Erst nach den massiven Gewaltausbrüchen gegen Jüdinnen und Juden im Novemberpogrom erklärten sich verschiedene Länder dazu bereit, unbegleitete Kinder aufzunehmen, allen voran Großbritannien. In weiterer Folge wurden auch die Niederlande, Belgien, Frankreich, Schweden, die USA und die Schweiz zu Zufluchtsländern.
Zwischen Dezember 1938 und September 1939, dem Beginn des Zweiten Weltkriegs, konnten mehr als 12.000 Kinder gerettet werden, darunter mehr als 3.200 aus Österreich. Die Eltern mussten die schwere Entscheidung treffen, ihre Kinder allein in einen Zug zu setzen. Der Plan, so bald wie möglich zu folgen, gelang vielen aber nicht, sie wurden deportiert und ermordet. Die Kindertransporte retteten viele Leben, doch hatten sie eine Jugend ohne Heimat und meist ohne Familie zur Folge.
Reise ans Ende der Kindheit
Die Kinder, die in Länder geflohen waren, in denen später die Nationalsozialisten einmarschierten, erfuhren mehrfache Verfolgung, die nicht alle überlebten. Großbritannien, das die größte Anzahl der Kinder aufnahm, erweckte den Schein eines sicheren Hafens. Doch die Ankunft auf der Insel bedeutete das abrupte Ende der Kindheit. Allein in einem fremdsprachigen Land mit der ständigen Sorge um das Überleben der Familie, mussten die Kinder aus eigener Kraft belastende und unsichere Situationen durchstehen. Manche wurden von einer Pflegefamilie zur nächsten gereicht, andere wurden in Heimen oder Internaten untergebracht, Mädchen mussten oft als Haushaltshilfen arbeiten. Das sofortige Finden einer geeigneten Unterkunft oder gar die Wiedervereinigung mit ebenfalls geflüchteten Eltern stellte die Ausnahme dar.
Während die jüngeren Kinder oftmals ihre Muttersprache verlernten, wurden ältere Buben mit Kriegsausbruch für mehrere Monate interniert. Nicht selten kämpften sie später in der britischen Armee für die Befreiung Österreichs. Lange Zeit wurde den „Kindern“, wie sie sich heute noch nennen, keine oder nur geringe Aufmerksamkeit gezollt. Ihr Trauma wurde im Vergleich mit KZ-Überlebenden relativiert. Bestärkt von der zweiten Generation haben die Kinder der Kindertransporte ab den 1980er-Jahren ihre Geschichten erzählt und dokumentiert. Auch die Präsidentin der New Yorker Kindertransport Association ist die Tochter eines Wiener „Kindes“. Der zweiten Generation wird in der Ausstellung ebenso Raum gegeben, wie dem weiteren Leben der Kinder.
Ausstellung bis 15. Mai 2022 zu sehen
„Jugend ohne Heimat. Kindertransporte aus Wien“ ist von 10. November 2021 bis 15. Mai 2022 im Museum Judenplatz, einem Museum der Wien Holding, zu sehen. Zur Ausstellung, die von Sabine Apostolo und Caitlin Gura-Redl kuratiert und von GABU Heindl und Toledo i Dertschei gestaltet wurde, erscheint ein Katalog zum Preis von 24,90 € im Eigenverlag.
Das Museum Judenplatz, Judenplatz 8, 1010 Wien, ist von Sonntag bis Donnerstag von 10 bis 18 Uhr, freitags 10 bis 14 Uhr (Winterzeit) bzw. 17 Uhr (Sommerzeit) geöffnet. Das Jüdische Museum Wien, Dorotheergasse 11, 1010 Wien, ist von Sonntag bis Freitag 10 bis 18 Uhr geöffnet. Weitere Informationen unter www.jmw.at oder unter info@jmw.at.