Eine Frau, ein Sessel, eine Stimme. Mehr braucht dieser Theaterabend nicht, um lange nachzuwirken. „Ein deutsches Leben“ setzt auf Reduktion – und gewinnt gerade daraus seine Kraft. Im Mittelpunkt steht Brunhilde Pomsel, einst Sekretärin von NS-Propagandaminister Joseph Goebbels. Sie erzählt von ihrem Leben, sachlich, nüchtern, ohne Pathos. Von Schuld will sie nichts gewusst haben, von Verbrechen nichts geahnt. Sätze wie diese bleiben hängen – gerade weil sie so beiläufig daherkommen.

Zwischen Alltag und Abgrund

Pomsel, die 2017 im Alter von 106 Jahren starb, schildert ein Leben, das zugleich außergewöhnlich und erschreckend gewöhnlich wirkt. Eine jüdische Freundin, ein jüdischer Arbeitgeber, später die Karriere im Machtzentrum des NS-Regimes – und doch das Beharren auf Anpassung und Pflichterfüllung. Der Text stellt keine schnellen Urteile aus, sondern legt Widersprüche offen. Genau darin liegt seine beklemmende Wirkung.

Starkes Debüt an der Josefstadt

Regisseurin Andrea Breth gibt mit dieser Arbeit ihr Debüt am Theater in der Josefstadt – und vertraut ganz auf Text, Schauspiel und Stille. Sie inszeniert keinen historischen Bericht, sondern eine Reflexion über Erinnerung und persönliche Verantwortung. Die Pausen, das Schweigen, das Zögern im Sprechen werden zu ebenso wichtigen Momenten wie die Worte selbst.

Musik als zweites Gedächtnis

Eine besondere Rolle spielt die Musik: Schlager und Klänge aus der damaligen Zeit tauchen auf, scheinbar harmlos, beinahe nostalgisch. Doch gerade dieser Kontrast wirkt entlarvend. Die Musik kommentiert, unterbricht und irritiert – sie erinnert daran, dass Unterhaltung und Terror einst nebeneinander existierten. So wird sie zum emotionalen Resonanzraum des Abends.

Lore Stefanek trägt den Abend

Im Zentrum steht Lore Stefanek, die mit großer Ruhe und Präzision den Monolog trägt. Ohne Anklage, ohne Überzeichnung lässt sie die Gedankenwelt ihrer Figur stehen – und macht sie dadurch umso beunruhigender. Ihre Darstellung zieht das Publikum hinein in eine Haltung des Wegsehens und Mitlaufens, die erschreckend vertraut wirkt.

Theater, das nachwirkt

„Ein deutsches Leben“ ist kein lautes Historienstück, sondern ein Theaterabend der Zwischentöne. Klug, konzentriert und musikalisch fein austariert stellt er Fragen, die weit über die Vergangenheit hinausreichen. Das Theater in der Josefstadt beweist damit, dass es nicht nur Tradition pflegt, sondern auch Raum für kritische Auseinandersetzung bietet – leise, aber nachhaltig.

Ein deutsches Leben

©Bernd Uhlig

Ein deutsches Leben

©Bernd Uhlig

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