Das Jüdische Museum Wien, ein Museum der Wien Holding, begleitet ab 21. Oktober 2020 seine BesucherInnen auf eine Reise nach Shanghai. Die Ausstellung „Die Wiener in China“, die bis 18. April 2021 zu sehen ist, widmet sich der Geschichte von Wiener jüdischen Familien, für die Shanghai zu einem Ort der Hoffnung wurde. In der völlig fremden Umgebung bauten sie sich ihr „Little Vienna“ auf, von Cafés, Konditoreien bis hin zum Heurigen. Das Museum eröffnet Einblicke in dieses in Vergessenheit geratene Kapitel Wiener jüdischer Geschichte und stellt die Familien vor, die dieses Viertel in Shanghai aufgebaut und getragen haben.
Von der Donau-Metropole zur Stadt über dem Meer
Bereits unmittelbar nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Österreich im März 1938 wurden Jüdinnen und Juden ausgegrenzt, gedemütigt und verfolgt. Die Möglichkeiten, das Land zu verlassen, waren gering. Schikanen, Zurücklassung jeglichen Besitzes und die Tatsache, dass viele Länder ihre Grenzen abschotteten, erschwerten jegliche Aussichten zur Flucht. Shanghai war eine internationale Sonderzone, für die kein schwer zu erlangendes Visum nötig war, dennoch verlangten die deutschen Behörden ein Ausreisepapier, gleich ob Visum oder Schiffsticket. Dr. Feng Shan Ho, der Generalkonsul Chinas in Wiens, stellte gegen den Willen der chinesischen Regierung tausende dieser rettenden Visa aus.
Damit stellte Shanghai, die „Stadt über dem Meer“ für viele österreichische Jüdinnen und Juden die letzte Hoffnung auf Zuflucht dar. Die Reise dorthin bedeutete eine wochenlange Überfahrt auf dem Seeweg oder eine beschwerliche Reise auf dem Landweg über Sibirien. Die Ankunft war für alle ernüchternd. Direkt von den Schiffen, die noch einen Hauch von Bequemlichkeit geboten hatten, wurden die Neuankommenden auf Lastwagen verfrachtet. Die meisten hatten kein Geld für eine Unterkunft, so wurden sie in lagerartigen Heimen untergebracht, in denen es kein Privatleben mehr gab. Die Unterbringung erfolgte in riesigen Schlafsälen mit mehr als einhundert Betten und wenigen kargen Gemeinschaftsräumen. Eltern wurden von Kindern getrennt, und oft mussten auch Ehepartner in voneinander getrennten Sälen schlafen.
Die neue fremde Heimat stellte die Geflüchteten vor große Herausforderungen. Auch das ungewohnte Klima, verbunden mit Krankheiten, war eine Belastung. Zudem kam die Sprachbarriere und der völlig neue Kulturkreis hinzu.
Little Vienna in Shanghai
Die Wiener Jüdinnen und Juden wollten so rasch wie möglich auch in der vollkommen ungewohnten und schwierigen Umgebung ein neues Leben beginnen und bauten sich ein kleines Wien mitten in Shanghai auf – ihr „Little Vienna“. Hier gab es neben Restaurants wie dem „Weißen Rössl“ Kaffeehäuser mit Wiener Mehlspeis- und Kaffeespezialitäten, Würstelstände und Heurigen. Sportvereine und Zeitungen wurden gegründet, und die vielen geflüchteten Künstlerinnen und Künstler sorgten für ein vielfältiges Angebot an Musikabenden, Operetten, Kabarett- und Theateraufführungen.
Mit der Einnahme Shanghais durch die mit dem Deutschen Reich verbündeten Japaner 1941 begannen sich die Lebensbedingungen kontinuierlich zu verschlechtern. 1943 wurde die Einrichtung eines Ghettos im heruntergekommenen Stadtviertel Hongkew beschlossen. Die hygienischen Verhältnisse und schlechte Versorgungslage führten zu Hunger und Krankheit. Ursprünglich aus dem Mittleren Osten stammende, und seit dem 19. Jahrhundert in Shanghai ansässige jüdische Familien wie die Kadoories und Sassoons, sorgten gemeinsam mit anderen Hilfsvereinen wie dem Amerikanischen JOINT, für die Versorgung mit Lebensmitteln und den Erhalt von Schulen.
Nach dem Sieg der Alliierten und dem Einmarsch der US-Armee 1945 begann für viele die Planung einer Rückkehr. Mit der bevorstehenden Einnahme Shanghais durch Mao-Zedong, verließen auch die letzten Jüdinnen und Juden die Stadt in Richtung USA, Kanada, Australien oder Israel. Einige kehrten wieder in ihre Heimatstadt Wien zurück. Durch die Ermordung und Zerstörung des europäischen Judentums bedeutete ihre Rückkehr nach Wien einen völligen Neuanfang in einer veränderten Welt.
„Die Wiener in China. Fluchtpunkt Shanghai“ ist von 21. Oktober 2020 bis 18. April 2021 im Jüdischen Museum Wien, einem Museum der Wien Holding, zu sehen. Zur Ausstellung, die von Danielle Spera und Daniela Pscheiden kuratiert und von Stefan Fuhrer gestaltet wurde, erscheint ein Ausstellungskatalog zum Preis von EUR 29,90 im Amalthea Verlag.
Das Jüdische Museum Wien, Dorotheergasse 11, 1010 Wien, ist von Sonntag bis Freitag 10 bis 18 Uhr geöffnet. Der zweite Standort, Museum Judenplatz, Judenplatz 8, 1010 Wien, ist von Sonntag bis Donnerstag von 10 bis 18 Uhr, freitags 10 bis 14 Uhr (Winterzeit) bzw. 17 Uhr (Sommerzeit) geöffnet.
Weitere Informationen unter www.jmw.at oder unter info@jmw.at